„Trainingsmethoden“, die auf Konfrontation beruhen

Stellungnahme zur Sendung „Die Hundeflüsterin“ im ZDF

Waldems-Esch, 10. Juni 2013 - Warum sind ich und viele meiner Kollegen im BHV über einige der Trainingsmethoden der „Hundeflüsterin“ Maja Nowak bedrückt und schockiert und fordern, dass das ZDF die Sendung absetzt?  

Zunächst muss man dazu wissen, dass die Kritik sich vor allem auf die zunächst nur im ZDF-Infokanal erstmals am 11. Mai 2013 ausgestrahlte Vorabsendung der ersten Folge der Serie bezog. Besonders der erste Fall in dieser Vorabsendung (mit dem Hund „Marcy“) wurde beileibe nicht nur vom BHV kritisiert, sondern rief bei vielen Hundefreunden Empörung hervor. Dies hatte offenbar zur Folge, dass das ZDF andere Fallgeschichten für die erste im Hauptsender ZDF ausgestrahlte Folge am 2. Juni 2013 auswählte. Wer also nur jene Sendung mit weitaus weniger dramatischen Fallbeispielen gesehen hat, kann wahrscheinlich wirklich nur schwer verstehen, warum die anderen sich so aufregen. 

 

Warum aber kritisiert der BHV überhaupt diese Trainingsmethode? Das ist tatsächlich nicht ganz so einfach zu erklären, denn einige der Dinge, die wir kritisieren, sind womöglich für viele Zuschauer nicht so offensichtlich. Ich möchte deshalb hier etwas mehr ins Detail gehen und versuchen, die Hintergründe zu erläutern. 

 

Laut der Kommentare bei Facebook, Mails usw. denken viele Fans der „Hundeflüsterin“, dass ihre Methode beeindruckend und besonders empfehlenswert ist, denn:

1. Schließlich hat Maja Nowak doch offensichtlich großen und extrem schnellen Erfolg. 

2. Die von ihr behandelten Hunde sind nach Aussage von Frau Nowak und dem Kommentator am Ende der jeweiligen Episoden nicht mehr ungebärdig und aufgeregt, sondern ruhig und „entspannt“.

3. Gewalt kann man das ja wohl nicht nennen, was sie macht, denn es wird doch kein Hund geschlagen, getreten, gekniffen, an der Leine geruckt usw. 

4. Stattdessen erklärt Maja Nowak, dass sie nur das nachahmt, was Hunde im Rudel untereinander tun – das muss doch besonders artgerecht und besonders gut verständlich für den Hund sein. 

5. Dass das etwas Mut und Festigkeit erfordert und nicht jeder Besitzer eines Problemhundes in der Lage sein wird, das nachzuahmen, macht doch nichts. Denn man sieht ja, dass die Hunde auch beim Besitzer brav sind, nachdem Frau Nowak persönlich mit ihnen gearbeitet hat.

6. Zudem „kommuniziert“ sie mit den Hunden, statt sie nur nach den Grundsätzen der Lerntheorie zu „konditionieren“ wie andere Trainer, die Hunden mit Hilfe von Leckerchen Kunststückchen wie „Sitz“ und „Platz“ beibringen, aber gar keine richtige Beziehung zu ihnen haben. 

7. An sich sollte man Hunde möglichst viel positiv verstärken. Aber wenn es sich um ein wirklich schweres Verhaltensproblem handelt, kommt man mit Leckerli und heititei nicht weiter und muss dann eben manchmal etwas forscher vorgehen – zum Wohle des Hundes.

• zu 1:

Warum hat Frau Nowak so schnellen Erfolg und ist der Erfolg dauerhaft? 

Maja Nowak hat zumindest bei „Marcy“ eine Methode angewandt, die man als „Reizüberflutung“ („Flooding“) bezeichnet. Dazu zwingt man den Hund, sich der für ihn angsterregenden Situation (hier: Nähe eines fremden Menschen und sogar von diesem festgehalten und angefasst werden) so lange auszusetzen, bis seine Gegenwehr erlahmt und eine Gewöhnung eintritt. Dies ist zwar fürs Fernsehen eine ideale Trainingsmethode, da sie hochdramatische Bilder liefert und – wenn sie denn funktioniert – zumindest in der gezeigten Trainingseinheit zu einem sehr schnellen Erfolg führt. Außerhalb des Fernsehformats eignet sich Reizüberflutung aber nur in wenigen Fällen. Warum?

Erstens ist die Methode extrem stressig und belastend für den Hund. Stellen Sie sich vor, man zwingt Sie, sich etwas auszusetzen, vor dem Sie Todesangst haben und belässt Sie so lange in der Situation, bis Sie zu erschöpft und resigniert sind, um weitere Flucht- oder Verteidigungsversuche zu machen. Benutzt man dieses Verfahren in der Therapie von Angstverhalten von Menschen, werden diese darauf vorbereitet, haben sich damit einverstanden erklärt, werden von einem Therapeuten dabei begleitet usw. „Marcy“ hatte all diese Möglichkeiten nicht.

Zweitens besteht für Nachahmer eine wirklich sehr große Gefahr, gebissen zu werden. Auch Frau Nowak setzt sich dieser Gefahr sehr konkret aus, wenn sie so trainiert. Sie kann aber aufgrund ihrer größeren Erfahrung eher Verletzungen vermeiden als ein nicht so geübter normaler Hundebesitzer.

Drittens ist es sehr schwierig, die Methode wirklich so einzusetzen, dass sie dauerhaften Erfolg bringt und nicht sogar stattdessen eine Verschlimmerung herbeiführt. Wer glaubt, dass es reicht, dem Hund ein einziges Mal zu beweisen, dass um sich schnappen bei Angst nichts nützt, um das Verhaltensproblem zu beenden, irrt sich. Dasselbe muss normalerweise zumindest von einigen ganz verschiedenen Personen an verschiedenen Orten gemacht werden, um genug verallgemeinert zu  werden. Zieht man die Reizüberflutung nicht so weit durch, bezieht sich das „Aufgeben“ zunächst mal nur auf die eine Person, die es durchgeführt hat, vielleicht sogar nur auf die Trainingssituation (in der Wohnung, mit dem Hund an der Leine, wenn die Besitzerin nicht dabei ist o.Ä.). Da die Angst des Hundes ja zunächst noch viel stärker wird, ehe sie im Idealfall sehr stark abflaut, kann man das Problem daher durchaus heftig verschlimmern. So besteht z.B. ein erhebliches Risiko, dass so trainierte Hunde anderen Menschen gegenüber noch aggressiver reagieren. 

Außer um die Dramatik zu steigern besteht aus Sicht des BHV keinerlei vernünftiger Grund, eine so riskante und belastende Trainingstechnik einzusetzen. Ein kleinschrittigeres aufgebautes Gewöhnungsprogramm wäre wesentlich sicherer, Erfolg versprechender und stressfreier für alle Beteiligten gewesen, würde allerdings mehr Zeit brauchen und eventuell „langweilig“ anzusehen sein, da man es dabei gerade vermeiden würde, den Hund über die Schwelle hinaus zu reizen, bei der er aus Angst aggressiv wird.

zu 2:

• Die von ihr behandelten Hunde sind nach Aussage von Frau Nowak und dem Kommentator am Ende der jeweiligen Episoden nicht mehr ungebärdig und aufgeregt, sondern ruhig und „entspannt“.

Das Ausdrucksverhalten (= die Körpersprache des Hundes, an der man seine innere Stimmung ablesen kann) ist wirklich gründlich erforscht und keine „Meinungssache“. Hunde senden viele feine Signale aus und z.B. Angst kann man nicht nur daran erkennen, dass ein Hund die Rute schon zwischen den Beinen hat. Hier interpretieren sowohl Frau Nowak als auch der Kommentator in vielen Situationen wirklich grundfalsch, erklären z.B. Körpersprache, die extreme Unterwürfigkeit, Angst oder Gehemmtheit ausdrückt als „entspannt“ und „ruhig“. Dagegen wird Körpersprache, die Stress, Panik und Übererregung ausdrückt als „aufgeregt“ verharmlost. 

zu 3:

• Und Gewalt kann man das ja wohl nicht nennen, was sie macht, denn es wird doch kein Hund geschlagen, getreten, gekniffen, an der Leine geruckt usw. 

Gewalt fängt nicht erst da an, wo geschlagen wird. Die Methode der Reizüberflutung wird von „Marcy“ ganz sicher als „gewaltsam“ erlebt. Auch die von Frau Nowak so vielfach eingesetzte „Einschränkung“ des Hundes mit Blockieren durch Körpersprache und Zischlaut ist de facto eine körpersprachliche Bedrohung des Hundes. Für einen sensiblen Hund oder einen, der eh schon Angst oder Stress erlebt, ist sie nicht so harmlos wie man annehmen könnte, sondern eine recht starke Maßnahme, die Hunde durchaus sehr einschüchtern und bedrücken kann (was man dann auch an ihrem Ausdruckverhalten sieht). Was nicht bedeutet, dass man sie nicht gelegentlich einsetzen kann, wenn ein Hund – salopp gesagt – „frech“ ist. Nur wendet Frau Nowak diese Bedrohung fast inflationär und oft auch bei Hunden an, die sehr unsicher sind. Zudem kommentiert sie sie verharmlosend und in völliger Verkehrung der Tatsachen z.B. als eine Geste, die dem Hund Sicherheit gibt, die von der Mutterhündin angewendet würde, um Welpen zu sagen „Vorsicht!“ usw. Das stimmt schlichtweg nicht.

zu 4:

• Stattdessen erklärt Maja Nowak, dass sie nur das nachahmt, was Hunde im Rudel untereinander tun – das muss doch besonders artgerecht und besonders gut verständlich für den Hund sein. 

Die Erklärungen zu dem Verhalten, das unter Hunden im Rudel üblich ist, die Maja Nowak in ihren Büchern und in der Fernsehsendung gibt, entsprechen absolut nicht dem, was in den letzten 15 Jahren von der Verhaltensforschung herausgefunden wurde, sondern entspricht einer veralteten Sichtweise und verzerrten Interpretation. Man hat z.B. gerade auch durch Freilandbeobachtungen von Wölfen und verwilderten Haushunden herausgefunden, dass diese Tiere unter normalen Bedingungen eine viel weniger starre Rangordnung haben und viel seltener aggressiv untereinander sind als man früher annahm. Die Verhaltensforschung geht heute auch nicht mehr davon aus, dass ein Hund in seiner Menschenfamilie ein Hunderudel und in seinem Besitzer einen „Mithund“ sieht. Zudem ist es aus vielen Gründen für Menschen meistens kaum möglich, Hundeverhalten (oder das, was er dafür hält!) so nachzuahmen, dass der Hund es auch als solches erkennen würde. Es kann daher sogar manchmal besonders verwirrend sein, wenn sein Mensch versucht, sich seinem Hund gegenüber wie ein Hund zu verhalten.

zu 5:

• Dass das etwas Mut und Festigkeit erfordert und nicht jeder Besitzer eines Problemhundes in der Lage sein wird, das nachzuahmen, macht doch nichts. Denn man sieht ja, dass die Hunde auch beim Besitzer brav sind, nachdem Frau Nowak persönlich mit ihnen gearbeitet hat.

Wenn Frau Nowak sich einem Problemhund gegenüber durchsetzt, hat sie dabei weitaus bessere Karten als der eigene Besitzer, nicht nur, wie sie einfach erfahrener ist. Ein fremder Mensch ist für den Hund immer schwer einzuschätzen und manche Hunde sind daher zunächst etwas unsicher ihm gegenüber. Tritt er dann entsprechend „machtvoll“ auf, „kuscht“ mancher Hund ihm gegenüber recht schnell, was auch daran liegt, dass er ja mit diesem Menschen noch keine Vorgeschichte hat. Übrigens kann es dann gut sein, dass der Hund sich so lange brav verhält, wie dieser neue, übermächtige Mensch in der Nähe ist, selbst wenn dieser nicht mehr selbst mit eingreift. Es erlaubt daher keine wirkliche Prognose für die Zukunft, wenn das Problemverhalten in Frau Nowaks Anwesenheit anscheinend wie weggeblasen ist.

Der Besitzer hat aber in aller Regel früher auch schon mehrfach – aber erfolglos – versucht, sich dem Hund gegenüber durchzusetzen. Daher hat der Hund mit ihm schon eine entsprechende Lernerfahrung. Auch der Besitzer hat eine Lernerfahrung mit dem Hund. Er hat z.B. vielleicht zu Recht etwas Angst vor dem Hund, da der ihn schon mal gebissen oder nach ihm geschnappt hat. All das führt dazu, dass der Besitzer viel eher gefährdet ist, wenn er versucht, die Trainermetoden nachzuahmen, als der Trainer. Das heißt aber nicht, dass der Besitzer keine Chance mehr hat, des Hundes Herr zu werden, denn zum Glück gibt es immer auch alternative Trainingsmetoden, die nicht auf Konfrontation beruhen, allerdings oft etwas mehr Geduld und „Köpfchen“ erfordern als ein bloßes „sich durchsetzen“.

zu 6:

• Zudem „kommuniziert“ sie mit den Hunden, statt sie nur nach den Grundsätzen der Lerntheorie zu „konditioneren“ wie andere Trainer, die Hunden mit Hilfe von Leckerchen Kunststückchen wie „Sitz“ und „Platz“ beibringen, aber gar keine richtige Beziehung zu ihnen haben. Das ist doch viel persönlicher.

Im Hundetrainingsbereich wird oft so getan, als wäre das Lernen außer Kraft gesetzt, sobald man mit dem Hund „kommuniziert“ und sich „auf Hund“ mit ihm unterhält. Das ist natürlich absurd, denn auch unsere sozialen Beziehungen und die des Hundes unterliegen dem Lernverhalten und werden daher durch „Belohnungen“ und „Strafen“ beeinflusst. Gute Kommunikation wird letztlich immer auch gelernt. Der Zischlaut, den Frau Nowak verwendet, wird z.B. durch Lernverhalten als Signal für „Bleib“ oder „Stopp“ etabliert. Und „Dressurkunststücke“ wie Sitz und Platz helfen, dem Hund mitzuteilen, was wir von ihm wollen und Alltagssituationen zu bewältigen und können daher durchaus als Kommunikation gelten. Eine strenge Trennung zwischen „Kommunikation“ und „Konditionierung“ ist daher weder möglich noch sinnvoll. 

zu 7:

• An sich sollte man Hunde möglichst viel positiv verstärken. Aber wenn es sich um ein wirklich schweres Verhaltensproblem handelt, kommt man mit Leckerli und heititei nicht weiter und muss dann eben manchmal etwas forscher vorgehen – zum Wohle des Hundes.

Diese Meinung hält sich hartnäckig. Ich habe sie auch einmal vertreten – vor ca. 30 Jahren. Die Erfahrung zeigt aber immer wieder, dass es genau umgekehrt ist: sollte ein gut sozialisierter Hund „normaler“ Hund, der ein gutes Vertrauensverhältnis zu seinem Menschen hat, z.B. in der Pubertät mal „frech werden“ (z.B. seinen Menschen anrempeln oder versuchen, ihm etwas aus der Hand zu reißen), kann es durchaus angebracht sein, den Hund in seine Schranken zu verweisen. Anders ist es, wenn ein Hund schon ein Verhaltensproblem entwickelt hat, vor allem im so häufigen Angst- und Aggressionsbereich und bei einem Hund, der schlecht sozialisiert ist und eine geringe Stress- oder Frusttoleranz hat. Dann zeigt sich immer wieder, dass Trainingswege über positive Verstärkung, Stressreduktion und Management mittelfristig weitaus bessere Erfolge haben als Trainingstechniken, die auf Konfrontation beruhen. Letztere führen dagegen oft zur Eskalation oder unterdrücken das Problem nur kurzfristig oder erzeugen neue „Baustellen“. Ihr einziger „Vorteil“ ist oft ein spektakulärer Anfangserfolg, der aber nicht lange anhält. 

Wenn eine Privatperson mit ihrem Hund so umgehen möchte, ist das eine Sache, aber wenn im öffentlich-rechtlichen Fernsehen solche Trainingsmethoden empfohlen werden, dürfen wir nicht wegschauen.

Sabine Winkler, Mitglied im Vorstand des Berufsverbandes der Hundeerzieher/innen und Verhaltensberater/innen